von Martin Weyers Unsere diesjährige SYMBOLON-Jahrestagung vom 27. bis 29. August 2021 widmete sich der Symbolik von Wegen und Grenzen, sowie den Möglichkeiten und Limitationen wissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen und speziell der Symbolforschung. Mit 38 angemeldeten Teilnehmern war die Tagung gut besucht, vertreten waren alle relevanten Altersklassen, vom wissenschaftlichen Nachwuchs bis zu unserem mit 90 Jahren ältesten Teilnehmer. Letzterer gehörte zugleich zu den aktivsten Diskussionsteilnehmern, und leitete abschließend mit einem Hölderlin-Gedicht zur nächsten Tagung über, auf der wir vom 08. bis 10. April 2022 »Symbole von Harmonie und Missgestalt« untersuchen werden: Die Linien des Lebens sind verschieden, Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden. Doch zunächst zu »Wege und Grenzen«! Das Thema umschreibt einen ambivalenten Symbolkreis und ist keineswegs als absolut zu setzendes Gegensatzpaar aufzufassen. Man denke etwa an Straßen oder Flüsse, die einerseits der Mobilität dienen, aber auch ein Hindernis darstellen können, sofern wir sie zu überqueren trachten. Meinen Kollegen Werner Heinz, 2. Vorsitzender von SYMBOLON, hatte ich um einen Überblick über »Schwellen und Pforten: Zur Symbolik architektonischer Grenzziehungen« gebeten. Grenzen gezogen werden z. B. zwischen weltlicher und geistlicher Macht, wie hier an der romanischen Gerichtstür der Sindelfinger Stiftskirche, wo der Zugriff der weltlichen Macht endete. Solche Übergangszonen lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen, wo sich der Tempelbezirk von der äußeren Welt abgrenzt – in Ägypten gleichgesetzt mit dem Chaos. Tempeltore und Stadttore konnten somit zu Orten der Rechtsprechung werden. Die Türschwelle spielt auch im Volksglauben und im Zaubermärchen eine bedeutsame Rolle. Wolfgang Bauer berichtete über »Schwellen und Grenzen in Zaubermärchen«, von Ritualen und Bräuchen, die in Verbindung mit der Schwelle stehen, und der Schwelle als einem Ort von Weissagung und zauberischer Handlungen, wobei sich auf der Türschwelle im kleinen, häuslichen Bereich wiederholt, was sich auch in Höhlen, Brunnen und anderen Orten des Übergangs in die Anderswelt ereignen kann. Dabei kommt es oftmals auf eine bestimmte Fertigkeit, ein Wissen oder einen Segen an, die »Schwellenangst«, wie es sprichwörtlich heißt, zu überwinden, und seiner Bestimmung zu folgen. Aber nicht nur Schwellen und Pforten sind mit Transformation und einer Abwendung von Unheil verbunden. Eine wichtige Funktion von Symbolen besteht in ihrem Potential, in Krisenzeiten Hoffnung zu geben. Davon handelte der Vortrag von Peter Cornelius Mayer-Tasch: »Von der Symbolnot unserer Zeit«. Prof. Mayer-Tasch ist u. a. Herausgeber des Buches »Zeichen der Natur«, über sieben Ur- und Natursymbole der Menschheit, sowie deren kontemplatives Potential. In seinen Büchern und Vorträgen versteht er es, die Grenzen zwischen Wissenschaft, Politik und Lebenskunst spielerisch zu überschreiten. Auch unsere Haut ist eine Grenze, eine durchlässige zwar, deren Unversehrtheit jedoch zugleich eine besondere Bedeutung zukommt. Hermes Andreas Kick stellt ihre Verwundung in den Mittelpunkt seines Beitrags: »Erlösungsweg und Versöhnung im Verständnis verwundeter Leiblichkeit in Richard Wagners Parsifal«. Dabei wird Verwundung und Heilung – auch im Sinne von Versöhnung – als künstlerisches Thema übertragen auf die heutigen Herausforderungen für die Gesellschaft und den Einzelnen, heilsame Lösungen zu entwickeln. Ein weiteres Beispiel für die Hoffnung-generierende Kraft lebendiger Symbole lässt sich in der Nachkriegskunst finden: Rhythmus, etwa bei Theodor Werner als »Elementar- und Generalsymbolum« für eine freie absolute Malerei, oder bei den plastischen Werken eines Henry Moore oder Eduardo Chillida. Das Manuskript von Christa Lichtenstern wurde aufgrund einer akuten Erkrankung der renommierten Kunsthistorikerin von Werner Heinz vorgetragen: »Rhythmus als Lebenssymbol im Aufbruch der internationalen Nachkriegskunst«. Und schließlich öffneten wir uns für Anregungen aus indigenen Kulturen, um unser Naturverhältnis im Hinblick auf die Frage zu untersuchen, wieweit sich »wildes Denken« revitalisieren lässt und möglicherweise zu einer harmonisierenden Reaktion auf die sich immer deutlicher abzeichnenden »Grenzen des Wachstums« (Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972) beitragen kann. »Wildes Denken«, so nannte der Ethnologen Claude Lévi-Strauss die Welterfahrung und Weltdeutung indigener Kulturen, die nicht wie unsere von Analyse und begrifflicher Abstraktion, sondern vielmehr von Mythen und Symbolen geprägt sind, die auf die Vernetzung der Lebenswelt verweisen. Am Samstagabend zeigten wir den neuen Film von Rüdiger Sünner, »Wildes Denken: Europa im Dialog mit spirituellen Kulturen der Welt«. Am Sonntagmorgen sprachen wir dann mit dem Regisseur über seinen Film. Dass der Film inspirierte und seine Macht bewies, eigenes Potential zu entfalten, konnte man schon an der Vielzahl der zum Teil sehr persönlich formulierten Wortmeldungen aus dem Publikum ablesen. Eine wichtige Rolle kommt in den indigenen Kulturen dem Vermittler zwischen den Welten vor, etwa in Form des Schamanen. Thomas Höffgen schlug eine Annäherung an die schamanische Welt über das europäische Symbolsystem klassischer Philosophie vor, und untersuchte die Möglichkeiten, das Fremde durch vertraute Begriffe für uns fruchtbar zu machen: »Der Weg des Schamanen aus philosophischer Perspektive«. In zwei Beiträgen, die sich Fragen der Methodik zuwendeten, konnten wir erleben, wie sich auch die Beschäftigung mit dem »Handwerkszeug« des Symbolforschers spannend gestalten lässt. Mit den bronzezeitlichen Felszeichnungen im schwedischen Tanum schauten wir uns ein konkretes Beispiel für ein »wildes Symbolsystem« an, das die Symbolforschung vor eine nicht leichte Aufgabe stellt, und an Grenzen führt: Nicole Höffgen zeigte an diesem spektakulären Beispiel die Möglichkeiten auf, sich einem Symbolsystem, zu dem uns der »Schlüssel« fehlt, durch Auffassung als Kanon anzunähern: »Die Felszeichnungen von Tanum. Ein religionswissenschaftlicher Weg zu einem wilden Symbolsystem«. Dabei widerstand die Referentin der Versuchung, vorschnelle Deutungen vorzunehmen und zeigte auf, wie sich auf seriöse Weise eine Grundlage für ein annäherungsweises Verständnis erarbeiten lässt. Noch in diesem Jahr erscheint eine erweiterte Neuauflage eines Standardwerks der »Symbolforschung in der Germanistik: Das »Metzler Lexikon literarischer Symbole« von Günter Butzer und Joachim Jacob, dessen Gebrauch nun durch ein umfassendes Bedeutungsregister erleichtert wird. Joachim Jacob stellte die Grundlagen ihrer lexikographischen Arbeit und die sich daraus ergebenden Forschungsperspektiven vor. Wie lassen sich derart unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen? Am besten bei einem bayerischen Bier, zu dem sich unsere vielfältigen »Linien des Lebens« an zwei Abenden in der Bierstube des unmittelbar an der Krämerbrücke gelegenen »Augustiner« zusammengefunden haben! Hier wurden sogleich auch die Perspektiven der kommenden Tagung zu »Harmonie und Missgestalt« diskutiert. Die Tagung bewegte sich zwischen Germanistik, Religionswissenschaft, den Altertumswissenschaften, der Mythen- und Märchenforschung, Psychologie und Musikwissenschaft – über einen Austausch zwischen diesen Fachgebieten hinaus dürfen wir hoffen, dass sich durch die verbindende Kraft der Symbole der ein oder andere Weg aus der Krise abzeichnen möge. Text: Martin Weyers, unter Verwendung der eingereichten Abstracts (Mehr Informationen zum Tagungsprogramm, sowie das Programmheft als PDF finden Sie auf der Ankündigungsseite.)
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