Grenzstein (Dreikantstein) von 1768 im Pfälzerwald, mit Verweis auf Karl Philipp, Kämmerer zu Worms, Freiherr von Dalberg („FVD“).
Foto: Martin Weyers
Foto: Martin Weyers
Programmablauf, Abstracts, CVs der Referenten, sowie ein einführendes Essay finden sich im Programmheft:
symbolon-programmmheft2021_-_web.pdf |
(Nachtrag: In unserem Blog finden Sie einen Bericht von der Tagung.)
60. Jahrestagung
vom 27. bis 29. August 2021
im Augustinerkloster zu Erfurt
Symbolik von Wegen und Grenzen
Wege und Grenzen der Symbolforschung
Grenzen sind ambivalente Erscheinungen. Flüsse etwa gelten als Symbol des Lebensstromes, und können doch zugleich eine natürliche Trennung markieren. Brücken wiederum helfen dem, der einen anderen als den vom Strome eingeschlagenen Weg verfolgt, den nunmehr als Hindernis erfahrenen Fluss zu überwinden – zum Guten oder zum Schädlichen, denn sie können Menschen zusammenbringen, aber auch Landschaften zerstören oder kriegerischen Zwecken unterworfen sein. Anders als oftmals suggeriert, ist die Durchlässigkeit von Grenzen oftmals jenseits der Polaritäten von »offen« oder »geschlossen« graduell und nach Maßgabe des als zuträglich Empfundenen regulierbar. Nicht nur Mauer, Tor und Stacheldraht markieren Grenzen, auch die biologische Membran und das Küchensieb vermögen »Spreu« vom »Weizen« zu trennen, und auch mehr sozialpsychologisch kodierte als physisch wehrhafte Zeichensetzungen, wie etwa der Lettner im Sakralraum oder die Bodenmarkierung vor dem Bankautomaten, haben die Macht, uns förmlich zuzurufen: »Bis hierher und nicht weiter!«
Eine intelligente Grenze ist zum Beispiel die Haut unseres Körpers. Sie lässt ihm Zuträgliches passieren, während Schadhaftes weitgehend ferngehalten wird. Zuweilen jedoch gelingt auch Giftstoffen der Transfer; die Steuerungsmechanismen sind einer steten Infragestellung ausgesetzt. Intelligent sind auch die Abgrenzungen ökologischer Nischen. Bereits Darwin erkannte auf den Galápagos-Inseln den Nutzen der Isolation für die Entwicklung genetischer Diversität – ökologische Vielfalt und Lebensfülle verdanken sich in der Natur oftmals erst der Abschirmung, indem ein begrenzter Schutzraum Möglichkeit zur Entfaltung gewährt.[1]
In Krisenzeiten dienen die vielfältigen genetischen Varianten der Evolution als Reservoir; was eben noch ungenutzt im Stillen schlummerte, kann sich unter veränderten Bedingungen als Ausgangspunkt für einen neuen und zukunftsträchtigen Entwicklungszweig erweisen. Der Sehnsucht nach umfassender Einheit, nach Zusammenwachsen dessen, was als Teil des Ganzen letztlich zusammengehört, steht die Sorge gegenüber, das Zarte und Besondere könnte erdrückt werden unter dem Zugriff des Anderen, des Angepassten, des Aggressiven. Das Leben organischer und kultureller Gebilde beruht auf den regulativen Wirkkräften eines komplexen und fein abgestimmten Systems von wegbereitenden wie auch begrenzenden Faktoren.
Eine grenzenlos globalisierte Welt erscheint heute vielen als Bedrohung. Der Biologe und Club-of-Rome-Autor Ernst-Ulrich von Weizsäcker etwa veranschaulicht seine Globalisierungskritik mithilfe von Bildern aus der Natur: „Stellen Sie sich vor, ein heimlicher Ökonom in meinem Körper befiehlt, die Blutgefäße als Handelshemmnisse zu entlarven und folgerichtig zu deregulieren! Ich wäre sofort tot.“[2] Die überwiegende Zahl lebenswichtiger Steuerungsvorgänge auf mikrokosmischer Ebene – so die Überlegung – findet in Form von biochemischen Reaktionen an Membranen[3], und somit durch unbewusst, gleichwohl intelligent gesteuerte Grenzen statt. In Ökonomie und Ökologie werden, wie in sämtlichen Bereichen des Menschlichen, unserem Handeln Grenzen gesetzt, denen wir umsichtig zu begegnen haben, und die somit praktische und symbolische Bedeutsamkeit erlangen können.
Wem bei dem Thema »Wege und Grenzen« lediglich asphaltierte Straßen und Schlagbäume in den Sinn kommen, der beschneidet den sich um diese Begriffe rankenden Symbolkreis, der natürliche und künstliche Begrenzungen, wie etwa Flüsse, Brücken, Tore und Türschwellen einschließt – Orte der Begrenzung wie auch des Übergangs zugleich, an denen unsichtbare Gesetze oder auch bloß undurchschaubare Befindlichkeiten die Durchlässigkeit regeln: von der Einwanderungsbehörde bis zur Schwertbrücke, die etwa in christlicher und islamischer Vorstellungswelt wie ein dünner Faden Diesseits und Jenseits verbindet.
Galt für unser Tagungsthema im vergangenen Jahr: »Was des einen Heimat, ist des anderen Fremdnis«, so lässt sich nun analog feststellen: Was des einen Weg, ist des anderen Grenze. Je dynamischer sich die Bewegung auf vorgezeichnetem Weg vollzieht, desto größer das Hindernis für jene, die sich quer zum Strom oder gar entgegen seiner Fließrichtung bewegen, was zuweilen als besonders ehrenvoll betrachtet wird, oder aber im Gegenteil als unnötiger Energieverbrauch, als „Querulantentum“. Was für Flussquerungen gilt, lässt sich auch von Schnellstraßen, und schließlich auch für die vertikale Bewegung mythischer Reisender sagen, die, angezogen von himmlischen, unter- oder andersweltlichen Sphären, die Grenzen der horizontalen und daher flachen Welt der gewöhnlichen Wahrnehmung zu überwinden trachten.
Als Gesellschaft für wissenschaftliche Symbolforschung fühlen wir uns den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit seit nunmehr 60 Jahrestagungen verpflichtet. Gleichwohl bewegen wir uns seit jeher oftmals in deren Grenzbereichen, allgemeiner noch in denen des Denk- und Sagbaren überhaupt, wohlwissend, dass Wesentliches häufig dem Netz der Wissenschaftskriterien entgeht und auch das menschliche Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit eines abgegrenzten Schutzraumes bedarf. Während ein Teil der Vorträge in Einzelstudien die Symbolik von Wegen und Grenzen untersucht, reflektieren wir die Grenzen und Möglichkeiten der Wissenschaften in weiteren Beiträgen, die Symbolforschung als solche thematisieren. Dabei gilt es, die Grenzen der Erkenntnis in unserem Sinne zu verschieben, dort aber, wo dies nicht möglich ist, sie zumindest als solche wahrzunehmen.
Martin Weyers
1. Vorsitzender
[1]Ernst Ulrich von Weizsäcker: »Gedanken über den Nutzen von Grenzen«. Vortrag beim Philosophenkongress am 25. September 2002 in Bonn. http://ernst.weizsaecker.de/gedanken-ueber-den-nutzen-von-grenzen/[externer Link]
[2]Ebd.
[3]Ebd.
[2]Ebd.
[3]Ebd.
Referenten und Vortragsthemen
Martin Weyers:
»Zwischen den Zeilen. Forschung im Grenzbereich des Wissbaren: Ein Rückblick auf 60 Jahrestagungen SYMBOLON«
Prof. Peter Cornelius Mayer-Tasch:
»Von der Symbolnot unserer Zeit«
Prof. Christa Lichtenstern:
»Rhythmus als Lebenssymbol im Aufbruch der internationalen Nachkriegskunst«
Dr. Werner Heinz:
»Schwellen und Pforten: Zur Symbolik architektonischer Grenzziehungen«
Prof. Günter Butzer, Prof. Joachim Jacob:
»Symbolforschung in der Germanistik: Das »Metzler Lexikon literarischer Symbole« (Neuauflage 2020)
Dr. Thomas Höffgen:
»Der Weg des Schamanen aus philosophischer Perspektive«
Wolfgang Bauer:
»Schwellen und Grenzen in Zaubermärchen«
Nicole Höffgen:
»Die Felszeichnungen von Tanum. Ein religionswissenschaftlicher Weg zu einem wilden Symbolsystem«
Prof. Dr. med. Hermes A. Kick:
»Erlösungsweg und Versöhnung im Verständnis verwundeter Leiblichkeit in Richard Wagners Parsifal: Grenzen und Irrungen.«
Dr. Rüdiger Sünner:
»Wildes Denken: Europa im Dialog mit spirituellen Kulturen der Welt« (Filmvorstellung und Künstlergespräch)
»Zwischen den Zeilen. Forschung im Grenzbereich des Wissbaren: Ein Rückblick auf 60 Jahrestagungen SYMBOLON«
Prof. Peter Cornelius Mayer-Tasch:
»Von der Symbolnot unserer Zeit«
Prof. Christa Lichtenstern:
»Rhythmus als Lebenssymbol im Aufbruch der internationalen Nachkriegskunst«
Dr. Werner Heinz:
»Schwellen und Pforten: Zur Symbolik architektonischer Grenzziehungen«
Prof. Günter Butzer, Prof. Joachim Jacob:
»Symbolforschung in der Germanistik: Das »Metzler Lexikon literarischer Symbole« (Neuauflage 2020)
Dr. Thomas Höffgen:
»Der Weg des Schamanen aus philosophischer Perspektive«
Wolfgang Bauer:
»Schwellen und Grenzen in Zaubermärchen«
Nicole Höffgen:
»Die Felszeichnungen von Tanum. Ein religionswissenschaftlicher Weg zu einem wilden Symbolsystem«
Prof. Dr. med. Hermes A. Kick:
»Erlösungsweg und Versöhnung im Verständnis verwundeter Leiblichkeit in Richard Wagners Parsifal: Grenzen und Irrungen.«
Dr. Rüdiger Sünner:
»Wildes Denken: Europa im Dialog mit spirituellen Kulturen der Welt« (Filmvorstellung und Künstlergespräch)
Evangelisches Augustinerkloster zu Erfurt
Augustinerstraße 10 99084 Erfurt Telefon: 0361/57660-0 Telefax: 0361/57660-99 E-Mail: [email protected] |
Tagungsort: Augustinerkloster Erfurt
Zum fünften Mal werden wir im ab 1277 erbauten Augustinerkloster in Erfurt tagen. Dieser geschichtsträchtige Ort bietet ideale Bedingungen für unsere Vorträge, interessante Gespräche und Exkursionen. Weitere Informationen zum Tagungsort unter: www.augustinerkloster.de |