Zur Totenmaske des Tutanchamun, dessen Grab vor 100 Jahren gefunden wurde. von Peter Eschweiler Vor 100 Jahren, genauer im November des Jahres 1922, kam es im Tal der Könige beim ägyptischen Luxor zur wohl aufsehenerregendsten Entdeckung der Archäologie überhaupt: Der Brite Howard Carter, damals 48 Jahre alt, fand ein noch nicht geplündertes Pharaonengrab: „Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht. Prächtiges Grab mit intakten Siegeln“ telegraphierte er an seinen Geldgeber Lord Carnarvon. Der Rest ist bekannt. Die Grabbeigaben für einen noch ausgesprochen jungen und aus der altägyptischen Geschichte kaum bekannten König gehören heute zu den Ikonen der Weltkunst, vergleichbar allenfalls mit den Resten der Parthenonfriese aus Athen oder den Gemälden Leonardo da Vincis. Unendlich oft reproduziert, gedeutet, als Werbeträger nicht zuletzt auch für den Tourismus genutzt. Vor allem die berühmte Goldmaske, die unmittelbar auf der Mumie des Kindkönigs Tutanchamun lag, ist wohl jedem Kunst- und Kulturliebhaber bekannt und darüber hinaus so etwas wie das Marketing-Image des bevölkerungsreichsten Landes der arabischen Welt. Immer gut für einen Werbeclip oder als Hintergrundkulisse in einem Blockbuster aus Hollywood.
Heute ist sie so etwas wie der Nationalschatz Ägyptens. Und seit sie 1972 in Europa auf Reisen war und einen bis heute anhaltenden Hype der Altertumsbegeisterung auslöste, der Ausstellungen und Reiseangebote in großer Zahl zur Folge hatte, wird sie das Land am Nil auch nie wieder verlassen. Schlicht zu kostbar für jede Versicherung – und für die Ägypter ohnehin unverzichtbar als Sinnbild der Schönheit und Großartigkeit ihrer Kultur. Rund 54 cm hoch, etwa 11 Kilogramm schwer, gearbeitet aus Goldblech und verziert mit Obsidian, Glaspaste und seltenen Halbedelsteinen – fraglos eine echte Preziose unter den Schätzen des imaginären Museums der Weltkunst, das dem französischen Politiker und Publizist André Malraux in den 50er Jahren vorschwebte und das heute durch die mittlerweile über 1.000 Stätten und Objekte vertreten wird, die auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO zu finden sind. Der früh verstorbene Pharao war höchst wahrscheinlich ein Sohn von Echnaton, also jenem König, der um 1.350 v. Chr. die alten Götter nicht mehr anerkennen wollte und sich und sein Volk allein dem Sonnengott unterstellte. Was früheren Interpreten des Geschehens häufig als eine revolutionäre Vorwegnahme des Monotheismus erschien, wird heute weniger romantisch als Machtkampf mit der Priesterschaft in der Hauptstadt Theben, heute Luxor, gedeutet. Amenophis IV., was soviel bedeutet wie „Der dem (Hauptgott) Amun Wohlgefällige“, nahm einen anderen Namen an („Der der Sonnenscheibe Wohlgefällige“ = Echnaton) und verlegte die Hauptstadt in eine bis dahin einsame Wüstengegend weit von Theben entfernt. Glanz an seinem Hof in Amarna verbreitete wohl in erster Linie seine Hauptfrau Nofretete, durch die in Berlin aufbewahrte Büste heute berühmter als ihr Mann. Und wie kam nun Tutanchamun zu seiner prunkvollen Grabausstattung? Nach dem Tod des Echnaton wurden die alten Machtstrukturen wieder hergestellt. Die Priester des Amun und der anderen großen Götter Ägyptens kamen wieder zu Ehren – und Pfründen. Und so bedankten sie sich bei dem Kindkönig, der ihnen selbstredend nichts entgegenzusetzen hatte. Und er erhielt einen ebenfalls passenden Namen: „Tutanchamun“ heißt soviel wie „Das lebendige Abbild des Amun“. Der junge Pharao wurde somit als Stellvertreter des alten Hauptgottes ausgezeichnet und sicherte so auch die Stellung der Priesterschaft in Theben, das wieder zur Hauptstadt wurde. Echnaton wurde offiziell verfemt und dem Vergessen anheimgegeben, auch Nofretete verschwand rasch in den Tiefen der ägyptischen Geschichte. Die alten Bestattungsriten und -gebräuche wurden wieder eingeführt, als hätte es Echnaton, jetzt bezeichnet als der „Verbrecher von Amarna“, nie gegeben. In diesem Jahr soll nun endlich – nach etlichen Jahren der Vorbereitung – das neue Grand Egyptian Museum in Kairo eröffnet werden. Und eines steht heute schon fest: Der wichtigste Publikumsmagnet wird die Maske des Tutanchamun sein. Dabei war diese eigentlich gar nicht dazu bestimmt, von unzähligen Menschen angeschaut zu werden. Sie sollte vielmehr dem verstorbenen König die Möglichkeit verschaffen, selbst zu sehen und teilzunehmen. Am Leben in einer anderen Welt natürlich. Niemand sollte damit Schauspielstücke aufführen, wie es die Griechen rund 1.000 Jahre später in ihren halbrund gebauten Theatern taten, und auch ein Gebrauch im Rahmen von Festen und Feierlichkeiten, wie er in der einen oder anderen Form aus zahlreichen Kulturen und Gesellschaften in aller Welt - vielleicht besonders eindrucksvoll in Afrika und Ozeanien - bezeugt ist, kam nicht infrage. Diese Maske war nur für den Pharao bestimmt und sollte in keine anderen Hände mehr übergehen. Wie gesagt – so gut wie jeder kennt die Maske! Umso erstaunlicher, dass sich ein längerer Text auf ihrer Rückseite findet, der kaum je angesprochen wird. Und dabei gibt gerade er Auskunft über Sinn und Zweck dieses „Weltkunstwerks“. „Sei gegrüßt, du mit freundlichem Gesicht, Herr ´des Schauens, den der Totengott Ptah wieder zusammengesetzt hat, den Anubis erhöht hat. Einer, dem der Schreibergott Thot die Himmelsstützen gegeben hat. Du mit freundlichem Gesicht unter den Göttern. Dein rechtes Auge ist die Tagbarke, dein linkes Auge ist die Nachtbarke. Du stehst vor dem Richter Osiris. Er sieht durch dich. Du führst ihn. Du verteidigst ihn und vernichtest seine Feinde. König Tutanchamun, der Gerechte. Ihm sei Leben gegeben gleich dem Sonnengott Re!“ Anders als wir heute verstanden die Priester im alten Ägypten und der König selbst diesen rätselhaften Text. Es ging darum, die Gesundung des Pharao von der Krankheit des Todes herbeizuführen, die verschiedenen Götter, deren Zuständigkeiten genau geregelt waren, dabei zu berücksichtigen und schließlich den Verstorbenen selbst zu befähigen, auch nach seinem Ableben in der neuen anderen Welt klar sehen und die Götter bei ihrem so wichtigen Geschäft der Aufrechterhaltung der Weltordnung tatkräftig unterstützen zu können. Insofern sollte die Maske, nicht anders als über 1.000 Jahre zuvor schon die riesigen Anlagen der Pyramiden, dazu beitragen, dass auch der tote Herrscher für sein Land weiter sorgen und die vertraute Welt gemeinsam mit seinen Vorgängern und den Göttern erhalten werde. Die gesamte Grabausstattung mit all ihren prachtvollen, einem König gebührenden Beigaben war dazu bestimmt, den jung verstorbenen Herrscher zu schützen und ihn in die jenseitige Welt der Ahnen und Götter einzubinden. Wir sprechen in solchen Fällen von Magie. Für die alten Ägypter war es eher eine Art von Geschäft: Wir geben dem König einiges mit auf den Weg, um ihm das neue Leben so angenehm und schön wie möglich zu machen. Er wird von den Ahnen und Göttern als einer der Ihren angenommen und arbeitet einfach weiter für sein Volk und seinen Staat, aus dem Grab oder Jenseits heraus. So betrachtet war das Gold besser investiert, als wenn man es wie in späteren Zeiten zum Bau von Schlössern und Palästen verwendet oder gleich in Tresore gesteckt hätte. Siehe auch: Peter Eschweiler, Bildzauber im alten Ägypten: Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches. Universitätsverlag Freiburg, Schweiz / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (1994), S. 151. Externer Link: Eschweiler_1994_Bildzauber_im_alten_Aegypten.pdf
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Von »Wege und Grenzen« über »Harmonie und Missgestalt« zu »Natur und Künstlichkeit«: Themen der Jahrestagungen 2021 bis 2023 von Martin Weyers Eigentlich war es angedacht, unsere Jahrestagung am 08. April mit demselben Novalis-Gedicht beginnen zu lassen, mit dem unsere Tagung zur »Symbolik von Wegen und Grenzen« im August des Vorjahres geendet hatte: Die Linien des Lebens sind verschieden, Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden. Als Übergang vom Thema der »Wege und Grenzen« zu »Harmonien« und deren Gegenteil gedacht war die geplante Rezitation des Gedichts durch unser ältestes aktives Mitglied Wolfgang Krüger, der zudem an einem eigenen Vortrag zum aktuellen Thema gearbeitet hat. Leider ist er Weihnachten 2021 im Alter von 90 Jahren verstorben, sodass uns nur blieb, im Gedenken an ein hochgeschätztes und bis zuletzt blitzgescheites Mitglied auf Novalis zu verweisen. Erfreulich hingegen stimmt, dass unser jüngster diesjähriger Teilnehmer 11 Jahre alt war – und in der Diskussion um ägyptische Unterweltsymbolik mit einer Nachfrage zu den von Peter Eschweiler vorgestellten kultischen Messern punktete. Der Vorstand bedankte sich mit einer Urkunde, mit der die Anerkennung als unser jüngster Symbolforscher gewürdigt werden soll. Um unseren SYMBOLON-Nachwuchs brauchen wir uns offenbar keine Sorgen zu machen! Dasselbe gilt für die hochkarätigen Referenten, die unsere Tagung wieder zu einem intellektuellen und sinnlichen Vergnügen werden ließen – in der Symbolforschung ist das Zusammenklingen beider kein Widerspruch! Dank einer blitzschnell agierenden Technik, für die, wie schon im Vorjahr, der Physiker und IT-Spezialist Andreas Mang verantwortlich zeigte, konnten wir auch den kurzfristig erkrankten Prof. Jochen Hörisch über eine Videokonferenzsoftware hinzuschalten – eine Premiere auf unseren Tagungen! Die in zahlreichen Kommentaren anklingende große Unterstützung durch Teilnehmer und Referenten zeigt, dass wir uns als Verein auf dem richtigen Weg befinden. Stellvertretend für viele andere anerkennende Äußerungen, die uns motivieren und zu neuen Leistungen anspornen, sei hier Prof. Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch zitiert: »Auch Ihre diesjährige Tagung hat wieder hochinteressante Einblicke in die vielfältige Landschaft der Symbolforschung geboten, was wohl in erster Linie dem oder den Regisseur(en) der Tagung zu verdanken ist.« Das Kompliment gebe ich gern weiter an meine Mitstreiter im Vorstand, Dr. Werner Heinz, Isabell Bendt und Katrin Mang. Die Zusammenarbeit in mittlerweile quasi familiärer, vertrauter Atmosphäre gereicht allen Beteiligten zur Freude, und wird wohl auch im kommenden Jahr wieder Früchte tragen. Dass zum kommenden Tagungsthema wiederum eine natürliche Verbindung besteht, wurde im Vortrag von Viktor Kalinke über den altchinesischen Philosophen Zhuangzi unversehens deutlich, als der Referent – ohne Kenntnis des bereits beschlossenen Themas für das kommende Jahr! – über »Natur und Künstlichkeit» in der taoistischen Philosophie und Symbolik sprach. Tatsächlich lautet das Thema unserer kommenden Jahrestagung vom 28. bis 30. April 2023 im Augustinerkloster Erfurt, wie traditionell am Ende der vorherigen Tagung verkündet: »Symbolik von Natur und Künstlichkeit«!
(Mehr Informationen zum Tagungsprogramm, sowie das Programmheft als PDF finden Sie auf der Ankündigungsseite.) |
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